Gedanken eines Monarchisten
zum Besuch des Papstes in Deutschland

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Fronleichnam, das Hochfest des Leibes und Blutes unseres Herrn Jesus Christus … Gott, was liebe ich diesen Feiertag. Es ist für mich, als fielen Ostern, Pfingsten und Weihnachten auf ein und denselben Tag.
Fronleichnam … ich bin immer schon Tage im Voraus nervös, weil ich es einfach liebe, mit meinem Gott durch die Straßen zu ziehen, ihm Hymnen singend.
Fronleichnam: Alles wird herausgeputzt, die Gärten, die Straßen, Flaggen und Fähnchen werden aufgehangen, die Messdiener geschniegelt und gestriegelt, die Kommunionkinder dürfen ein zweites Mal ihre festliche Kommunionkleidung anziehen, die edelsten und schönsten liturgischen Geräte und Gewänder werden vom Messner aus dem Schrank geholt, die Straßen werden im Blütenmeere verwandelt, … Alles nur für IHN.
Es ist mittlerweile schon 20 Jahre her, da hatte ich das Vergnügen, im Rahmen eines Praktikums innerhalb meines Studiums in einer Kölner Pfarrei die Ministrantenstunde zu übernehmen. Ich ging mit der kleinen zappelnden Schar, von denen die Hälfte wenige Wochen vorher zur Erstkommunion gegangen war, in die Kirche, um sie etwas zu beruhigen. Ich wollte mich über ihren Wissensstand informieren und fragte sie daher, was sie denn im Altarraum alles erkennen würden. „Altar, Kerzen, Kruzifix, Blumen, … Tabernakel“.
„Prima“, belohnte ich ihre Antworten. „Und was ist IN dem Altar?“
Schweigen – bis dass eines der Kinder sich auf den Kommunionunterricht besann und mutig antwortete: „Brot“, was die anderen Ministranten murmelnd bestätigten.
Die Enttäuschung, die Verwirrung, der Schock war groß, als ich den Kindern sagen musste, dass sie leider nicht Recht hatten.
„Aber das hat der Herr Pastor uns so gesagt“, verteidigten die Kleinen Ihr Wissen.
„Es ist trotzdem falsch“. Es tat mir fast Leid, die Kinder davon zu überzeugen, dass man ihnen etwas Falsches beigebracht hatte, aber dennoch musste ich ihnen erklären, dass wir es hier nicht mit einer Bäckerei zu tun hatten, in der Brot gelagert wird, sondern mit einem goldenen Tabernakel in einer Kirche, in dem Gott „wahrhaft, wirklich und wesentlich unter der Gestalt des Brotes“ anwesend ist.
Es versteht sich von selbst, dass dies meine bis heute LETZTE Ministrantenstunde gewesen sein soll …
Gerade vor wenigen Wochen habe ich in einem anderen Zusammenhang mit der Verteidigung unserer Glaubenswahrheiten gelesen, dass man den Menschen des 21. Jahrhunderts nicht zumuten könne, an bestimmte, schwer zu verstehende Dogmen zu Glauben. Also habe sich seit einigen Jahren in Deutschland Bischöfe darauf geeinigt, KEINE Wahrheiten mehr zu verkünden. Erzbischof Zollitsch zum Beispiel meinte ja, Christus sei ja „nur aus Solidarität mit uns Menschen“ am Kreuz gestorben, während einige Bischöfe die Meinung vertreten, dass Christus nicht WAHRHAFT, sondern nur symbolisch von den Toten auferstanden sei.
20 Jahrhunderte konnte man dem Menschen zumuten, an die Glaubenswahrheiten zu glauben, doch nun, wo der Mensch irriger Weise der Überzeugung ist, aufgeklärt zu sein, darf man es ihm nicht mehr zumuten. Die Hirten der Kirche sollten sich schämen!!!
Fronleichnam, ein Fest, das für mich eines der schönsten Feiertage des gesamten Kirchenjahres ist; kein Wunder, dass ich immer einige Tage im Vorfeld schon nervös bin, denn ich darf mit meinen Glaubensschwestern und –brüder Hymnen singend durch die Straßen ziehen, IHM, dem König der Könige huldigend, meinen Glauben an IHN, den Dreifaltig Einen stolz zu bekennen.
Denn das, was wie ein kleines Stückchen Brot ausschaut, ist in Wahrheit derjenige, der vor aller Zeit war und der in Ewigkeit sein wird, der in Nazareth von der Jungfrau empfangen, der in Bethlehem von der Jungfrau geboren, der mit 12 Jahren von seiner Mutter und von seinem Ziehvater in Jerusalem verloren und gesucht und im Tempel wiedergefunden wurde, der Wasser in Wein gewandelt, der über den See Genezareth gewandelt, der den Sturm beruhigt, der auf Petrus, dem Felsen, die Kirche gegründet, der am Gründonnerstag mit den Worten „Dies ist MEIN LEIB“ die Eucharistie eingesetzt hat, der am Karfreitag am Kreuz den Opfertod auf sich genommen und am dritten Tage wieder auferstanden, der vor den Augen seiner Apostel in den Himmel aufgefahren, der den Heiligen Geist gesandt, … und der wieder kommen wird in Herrlichkeit. … Aber es ist KEIN Brot!
Es ist der, von dem der Engel Gabriel in Nazareth verkündet hat, sie werde den Sohn Gottes empfangen, es ist derjenige, von dem die Engel den Hirten von Bethlehem verkündet hatten, dass der Heiland geboren wurde, es ist der, bei dessen Taufe im Jordan sich der Himmel geöffnet und die Stimme des Vaters verkündet hatte „Dies ist mein geliebter Sohn“, es ist derjenige, von dem der Soldat unter dem Kreuz bekannte, dass dieser wahrhaft Gottes Sohn sei, es ist derjenige, über den der Engel vor dem leeren Grab zu Jerusalem gemahnt hatte, dass sie den Lebenden nicht bei den Toten suchen sollten, … es ist derjenige, für den eine riesige Schar Märtyrer lieber ihr Leben gelassen haben als ihr Glauben an ihn zu verraten. Hätten sie ihr Leben auch für ein Stück Brot gelassen?
Fronleichnam: „Singt dem König Freudenpsalmen!!!“ Selbst wenn alle Kaiser, Könige und Fürsten der Welt an diesem Tag an einem Ort versammelt wären, sie müssten ALLE sich in Ehrfurcht verneigen, weil es Gott ist, der durch die Straßen getragen wird, es ist der Schöpfer des Himmels und der Erde, es ist der Allherrscher und Allweise, es ist der, von dem sie alle ihre Macht erhalten. Es ist derjenige, von dem der ungläubige Thomas fassungslos und den Tränen nahe, doch nun der felsenfesten Überzeugung bekannte: „Mein Herr und mein Gott!“ Aber es ist kein Brot!
Wenn man den (Kommunion-)Kindern natürlich beibringt, dass sie an ihrem Festtag der Erstkommunion NUR ein Stück Brot empfangen, dann darf man sich nicht wundern, dass sie nicht viel von ihrem Glauben halten werden, denn – wer glaubt denn an ein Stück Brot?
Es ist Gott! – Ganz simpel und einfach, wahrhaft, wirklich und wesentlich! Doch wir beobachten, dass die „streitende Kirche“ sich mit der Zeit zur schlaffen, feigen und allzeit „dialogisierenden Kirche“ entwickelt hat, die es jedem Recht machen will nur nicht den Rechtgläubigen, die an den Wahrheiten zweier Jahrtausende festhalten wollen. Wenn also die Hirten der Kirche der Ansicht sind, dass man von den Menschen des 21. Jahrhunderts nicht mehr zumuten könne, an den wahrhaften Gott zu glauben, dann werden sie ihre Gründe haben. Wenn sie der Ansicht sind, man könne den Kindern zumuten, an ein Stück Brot zu glauben, dann werde sie es mit ihrem Gewissen und vor dem letzten Richterspruch am Ende der Zeiten vereinbaren müssen. Ich jedenfalls habe ein SEHR gutes Gewissen, voller Glücksgefühl und voller Stolz an Fronleichnam mit meinem Herrn und meinem Gott, mit meinem Heiland und meinem König durch die Straßen zu ziehen, die schönsten Hymnen ihm zu Ehren singend, und mich vor IHM ehrfürchtig in den Staub werfend, DEN anbetend und verherrlichend, auf dessen Namen ich getauft wurde. Es wäre mir neu, dass ich auf ein Stück Brot getauft worden wäre …
[Hochgelobt und gebenedeit
sei das allerheiligste Sakrament des Altares]
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Liebe Freunde,
seit Monaten, ja seit fast einem halben Jahr, habe ich mich hier in meinem Blog nicht mehr zu Wort gemeldet. Große Gewissensbisse plagten mich – wollte ich mich doch zwischendurch immer mal zu Wort melden, habe aber nie so richtig die Zeit dazu gefunden.
Dennoch sei mir erlaubt, Ihnen/Euch allen ganz herzlichen Dank zu sagen für Ihre/Eure Treue zu meinem/Ihrem/Eurem Blog. Es werden weiterhin Artikel erscheinen, es werden weiterhin Kommentare von mir erscheinen, es wird weiterhin dieser unserer Gesellschaft auf die Finger geschaut werden.
Aber nun – gerade den dritten Advent hinter uns – wollen wir uns erst einmal der besinnlichen Vorweihnachtszeit widmen, solange das noch möglich ist. Denn – wir müssen uns nun mal mit der Tatsache abfinden – unsere Kultur ist keine christliche mehr. Man ist sich sogar soweit einig, dass gar keine christlich-abendländische Kultur mehr existiert. Und wenn wir uns schon freiwillig von dieser 2000 Jahre alten Kultur verabschiedet haben, dann brauchen wir auch kein Weihnachten mehr …
Was muss in dem Menschen vor gehen, der zwar genau weiß, dass vor ca. 2014 Jahren Gott selbst in der Person von Jesus von Nazareth in einer erbärmlichen Krippe in Bethlehem gekommen ist, der zwar genau weiß, dass Jesus Christus in Jerusalem qualvoll gelitten und gestorben ist, um sich dem Vater im Himmel hinzugeben, auf dass die Menschheit befreit werde von aller Schuld und Sünde, der zwar genau weiß, dass der christliche Glaube im Blut abertausender von Märtyrern hat gedeihen können und seinen Siegeszug bis in die entlegendsten Winkel dieser Erde hat antreten können, um die Wahrheit, die Freiheit und die Liebe Gottes in jedes Herz zu tragen, … was muss in dem Menschen vorgehen, der sich der Diktatur des Relativismus unterwirft und den „einfachen Weg“ des Daseins wählt? Wie lange haben wir es nur vermutet, was nun offiziell ist: Das Christentum ist die größte Gruppe auf Erden, die verfolgt wird. Und wer sind die Schuldigen? Natürlich und am Bequemsten findet man die Schuldigen immer bei den Anderen, dabei sind WIR es selbst, WIR Christen, die das Christsein zu einer Privatangelegenheit degradiert haben.
Aber der Glaube und die damit verbundene christliche Kultur WAR nie eine Privatangelegenheit und darf es auch nie werden. Auch wenn jeder einzelne in seinem Inneren, mit seinem Herzen und seinem Verstand, sich mit all den Glaubensgeheimnissen ins Reine kommen muss, so ist die Gemeinschaft („der Heiligen“) an seiner Seite, aber der Mensch verzichtet …
Von klein auf bekommen wir beigebracht, dass wir immer und immer wieder vor Entscheidungen stehen. Immer haben wir es mit „Entweder“ – „Oder“ zu tun, links ODER rechts, oben ODER unten, schwarz ODER weiß, gut ODER böse … Die Enscheidungen KANN uns niemand abnehmen außer unser Herz und unser Verstand. Doch als Christ ist man in der Gemeinschaft mit anderen Christen, vor allem mit denen, die uns in 2000 Jahren voraus gegangen sind, angefangen von Johannes dem Täufer bis hin zu Mutter Theresa von Kalkutta, von dem Diakon Stephan bis hin zu Maximilian Kolbe.Die leidende, die streitende und die triumphierende Kirche WAR immer der beste Ratgeber des Einzelnen, sie wird es auch immer bleiben – man muss sich ihr nur öffnen.
Aber … was werden wir eines Tages unseren Kindern und Kindeskindern sagen, wenn sie uns vorwerfen, dass wir unsere christliche Kultur und all die Unzähligen, die dafür ihr Blut und ihr Leben geopfert, verraten haben? Was werden wir Ihnen zur Antwort geben, wenn sie uns fragen, wieso wir IHRE Zukunft dem Zeitgeist zum Fraß vorgeworfen haben? Werden wir ein reines Gewissen haben, wenn wir ihnen sagen, dass wir Glauben, Wissen und Vernunft gegen Ungewissheit, Unvernunft und Verantwortungslosigkeit ausgetauscht haben?
Eine Jahrtausende alte chrislich-abendländische Kultur haben wir von unseren Vätern und Vorvätern geerbt bekommen, viele davon haben ihr Leben zur Verteidigung dieser Kultur auf dem Schlachtfeld gelassen – und wir, oder sagen wie besser: und ICH gebe mich dem Leugnen der Tugenden und Werte, dem Leugnen meiner eigenen Geschichte, dem Leugnen meiner eigenen Herkunft hin. Und eines Tages werde ich nicht nur vor meinen Kindern und Kindeskindern Rechenschaft ablegen müssen, sondern auch vor dem kleinen hilflosen Geschöpf in der Krippe, das sich anschickt, der gesamten Menschheit Wahrheit und Freiheit, Frieden und Liebe zu bringen.
Sei uns gnädig, kleines Jesuskind.
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von Stephan Baier
Von wegen Säkularismus! Wo der Glaube in den Andachtswinkel des Privaten abgedrängt wird, erobern die ideologischen Ersatz-Religionen die Altäre des Zeitgeistes: mit ihren Tabus und ihren Dogmen, mit neuen Häresien und Heiligsprechungen, mit ihren Sanktionen und oftmals ohne Gnade.
WÜRZBURG, 3. September 2009 (Die Tagespost.de/ZENIT.org ).- Ein analytischer Blick oft nicht gewagt, oft nicht gelungen in den Nahen Osten müsste den aufgeklärten Europäer eigentlich nachhaltig verwirren. Hier tobten sich im vergangenen Säkulum die drei großen europäischen Ideologien des 19. Jahrhunderts aus, doch werden sie derzeit von einer Renaissance des politischen Islam wenn schon nicht weggespült, so doch zumindest begrenzt. Der aus Europa importierte Nationalismus stiftete im absterbenden Osmanischen Reich in Form der jungtürkischen Bewegung und in den Reformen Mustafa Kemal Atatürks riesiges Unheil und millionenfachen Tod. Er schuf in der Gestalt des arabischen Nationalismus neue Staaten und neue Grenzen. Der aus Europa importierte Sozialismus stabilisierte Diktaturen, verschmolz stellenweise mit autokratischen und andernorts mit islamistischen Zügen, denn der Islam besitzt ja eine ausgesprochen egalitäre Seite. Der aus Europa importierte ambivalente Liberalismus schließlich schliff einerseits einige Kanten der Gesellschaft ab, öffnete den Frauen, der Jugend, der gebildeten oder unternehmerisch talentierten Schicht neue Möglichkeiten, schillerte aber andererseits rasch in die Unmoral und Beliebigkeit hinein.
Der Orient, ob christlich, jüdisch oder muslimisch, bleibt tief religiös, und so konnte es nicht ausbleiben, dass der Nationalismus auf einen pan-islamischen Widerspruch stieß, der Sozialismus an der merkantilen Mentalität der Levante abprallte und der Liberalismus die Gegenbewegung eines islamischen Rigorismus provozierte.
Ganz anders in Europa, wo die Politik und die sie umlagernden Medien und Wissenschaften bis heute täglich das Gift der drei großen Ideologien des 19. Jahrhunderts einatmen: des Nationalismus, des Sozialismus und des Liberalismus. Kein Wunder, denn in Europa sind diese Ideologien nicht importiert worden, sondern aus weltanschaulich frei gewordenen Räumen entstanden und gewachsen. Das mittelalterliche Ordo-Denken konnte Schöpfungsordnung, Seinsordnung, Weltordnung und Lebensordnung noch in einer Zusammenschau denken und Abweichungen als Häresie bekämpfen. Sie fand ihren Ausdruck in den patriarchalen (und natürlich komplementär auch matriarchalen) Autoritäten: Gott Vater im Himmel, der Heilige Vater in Rom, der König als Vater des Vaterlands, der Vater als König in seiner Familie.
Bis heute scheint den Europäern das Säkulare das Vernünftige
Mit der „fraternité“ (der nicht mehr christlich verstandenen Brüderlichkeit der Französischen Revolution) fielen die Autoritäten, mit der „liberté“ die Schranken, mit der „egalité“ die Verantwortlichkeiten. Wer hätte sich im aufgeklärten Europa den Ideologien des 19. Jahrhunderts mit ihrer konstruktiven wie destruktiven Energie denn entgegenstellen sollen? Die Kirchen vielleicht, denen die sich aufgeklärt wähnenden Autokraten gerade noch zugestanden, das Herz der Betrübten zu wärmen, durch ihre Predigt zur Stabilität des Staates und durch ihre Erziehungsarbeit zur Stabilität heranwachsender Staatsbürger beizutragen?
Bis heute scheint dem ach so aufgeklärten Europäer das Säkulare als das Vernünftige, das Fortgeschrittene, das Moderne trotz aller Barbareien des 20. Jahrhunderts, trotz aller staatlichen und menschlichen Katastrophen, die den modernen Ideologien anzulasten sind. Bis heute scheint dem Europäer die Vermengung von Religion und Politik vormodern, antiquiert und unaufgeklärt vom sogenannten „Gottesstaat“ Iran bis zu den religiösen Beteuerungen US-amerikanischer Spitzenpolitiker. Bis heute meinen die Europäer mit ihrem Säkularismus und der völligen gesellschaftlichen Ausblendung der Gottesfrage an der Spitze des Fortschrittes zu marschieren obwohl sie bekanntlich demografisch, weltpolitisch und mittlerweile sogar ökonomisch alles andere als vital sind. Der frühere Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen, Hartmut Lehmann, hat in seinem 2004 erschienenen Buch „Säkularisierung“ überzeugend nachgewiesen, dass Europa mit diesem Trend völlig allein steht: „Nur in Eur
opa ist die Säkularisierung zu einer dominierenden politischen, sozialen und kulturellen Kraft geworden; nur in Europa hat die Säkularisierung triumphiert, wenigstens bis heute.“
Aufgeklärt ohne Anführungszeichen wären die Europäer, wenn jene, die für den Säkularismus eintreten, vernunftmäßig und ohne Schaum vor dem Mund die These anhören könnten, dass der Entchristlichung Europas möglicherweise eine Rechristianisierung folgt, dass das säkulare Zeitalter bestenfalls ambivalent und jedenfalls vorübergehend sei. Stattdessen herrscht in Europa der Irrglaube an die Irreversibilität dieser Entwicklung.
Selbst Vertreter der Kirche pflegen den Ist-Zustand des Christlichen in Europa mit dem Wort „noch“ abzuwerten. Bei seit Jahren rückläufigen Zahlen der Gläubigen, der Priester und der öffentlichen Wahrnehmung scheint das Wort „erst“ oft paradox, das Wort „noch“ so naheliegend. Und beim Rückzug ins Getto gleichermaßen wie beim Hineinkuscheln in die Bequemlichkeiten der säkularen Gesellschaft verendet der missionarische Elan dann oft tatsächlich im Schützengraben kirchlicher Rückzugsgefechte. Nochmals der Historiker Lehmann: „Die von der Säkularisierung bestimmte Straße erscheint wie eine Einbahnstraße, wie eine Straße, die eine Umkehr nicht möglich macht.“ Die Renaissance des vor einem halben Jahrhundert noch tot geglaubten politischen Islam scheint für die meisten Christen hier weder Ermutigung noch Vorbild.
Weder das verbitterte Verteidigen der letzten Bastionen noch die nostalgische Verklärung des Vergangenen hilft Europas Christen. Und natürlich ist auf der Wegstecke der Weltgeschichte auch „eine Umkehr nicht möglich“. Im Leben des Einzelnen wie ganzer Gesellschaften ist nichts von dem, was je geschah, ungeschehen zu machen. Was gedacht, gesagt, getan wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden. In diesem Sinn kann niemand „hinter die Aufklärung zurück“. Aber es ist nicht nur legitim, sondern höchst angebracht, die Aufgeklärten aufzuklären, die Rationalität des Rationalismus zu hinterfragen, die Dogmen und Tabus der angeblich dogmenlosen und tabufreien Gesellschaft zu benennen und zu entlarven. Nicht in der Relativierung der Vernunft, sondern in ihrer Befreiung zu größerer, auch Gott einschließender Weite liegt die Chance der Christen, wie Papst Benedikt XVI. in weiser Auslegung der vielzitierten Zeichen der Zeit immer und immer wieder erklärt. Anders formuliert: Wo die Kirch
e nicht nur (rituell oder ernsthaft) Selbstkritik übt, sondern auch kluge Zeit- und Gesellschaftskritik, da kann sie Zeit und Gesellschaft auch wieder prägen.
Ideologien der Jetztzeit an der Wahrheit des Menschen messen
Niemand hat drängender und ernsthafter die Frage nach der Wahrheit des Menschen gestellt und die Ideologien der Jetztzeit an diesem Maßstab gemessen, als Papst Johannes Paul II. und sein vormaliger engster theologischer Mitarbeiter und späterer Nachfolger Joseph Ratzinger. Dieser Ansatz wirkt tatsächlich aufklärerisch, weil sich hier die Nebel lichten. Wenn nämlich die Ideologien der Moderne nicht selbst der Maßstab sind, an dem die Wirklichkeit des Einzelnen und der Gesellschaft zu messen ist, sondern sie umgekehrt an der Wahrheit und Würde des Menschen gemessen werden müssen, dann wird rasch ihr irrationaler und teilweise ins Totalitäre geneigter Charakter offenbar. Deshalb insistierten die aus dem Nationalismus, aus dem Sozialismus und aus dem Liberalismus erwachsenen Systeme ja so darauf, wissenschaftlich und objektiv zu sein. Selbst die haarsträubend irrationalen Ideologien des Nationalsozialismus und des Marxismus-Leninismus beanspruchten Wissenschaftlichkeit.
Richard Coudenhove-Kalergi hat in seiner Schrift „Stalin & Co.“ bereits 1931, als viele westliche Intellektuelle sich von der Sowjetunion noch blenden ließen, deren pseudoreligiösen Charakter analysiert und karikiert: „Die dritte Internationale ist die jüngste und aktivste aller Religionsgemeinschaften. Eine weltumspannende Kirche mit unzähligen Jüngern und Proselyten in allen Erdteilen, bereit, sich für die Erfüllung der Frohen Botschaft Lenins töten zu lassen. Der Kommunismus ist eine Religion in der Gestalt einer Partei. Die dritte Internationale ist eine Weltkirche. Die kommunistische Partei Russlands ist ein moderner Ritterorden. Russland ist ein Kirchenstaat. Diese neue Religion hat ihre Bibel: das alte Testament von Marx und das neue Testament von Lenin. Sie hat ihre eigene Ethik, die befiehlt, für den neuen Glauben nicht nur zu leiden, sondern auch leiden zu machen; nicht nur zu sterben, sondern auch zu töten; mit allen Mitteln zu versuchen, das große Ziel zu erreichen: die ganze Welt der neuen Kirche und dem neuen Glauben zu unterwerfen.“
Ähnlich ließe sich der Nationalsozialismus analysieren, dessen Kampf gegen die Kirche bei gleichzeitiger Anleihe bei ihren Riten und Bräuchen offenkundig war. Das Pseudo-Liturgische, die Adaption von Kultus und Sakralbau, die offensive Belegung von Worten mit einem ganz bestimmten neuen Bedeutungsgehalt, die radikale Tabuisierung bestimmter Worte und Denkweisen, die Definition von Häresien und deren unbarmherzige Verfolgung all das charakterisiert den Kommunismus wie den Nationalsozialismus. Aber nicht nur sie. In vielfacher Form geschieht dies auch heute im ideologischen Liberalismus, im Kapitalismus, im bürokratischen Etatismus.
Wer die Tabus und Wertehaltungen des 16., des 19. und des 21. Jahrhunderts vergleicht ohne von vornherein an die Irreversibiliät des Fortschritts der Menschheit zu glauben, sondern in nüchterner gedanklicher Gleichzeitigkeit zu allem in Europas Geistesgeschichte Gedachten kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Unfassbar, was der angeblich aufgeklärte Europäer heute so alles zusammenglaubt, was er naiv zu wissen und zu meinen meint! Unvorstellbar, an wie viele Tabus wir uns im säkularen Europa so gewöhnt haben und wie demütig wir die Sanktionierung von Tabuverstößen hinnehmen! Empörend, wie wir uns nicht nur das Denken diktieren lassen, sondern auch der ständigen Manipulation der Worte tatenlos zusehen! Kein Zweifel: In Europa ist es allerhöchste Zeit für eine Aufklärung!
[aus: Zenit.org und
© Die Tagespost vom 3. September 2009 ]